Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Säkularismus
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Hiob
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Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Hiob »

An alle Literatur-Interessierten: Wie seht Ihr den Wandel der Literatur seit dem 18. Jh. bis heute?

Eine kleine Anregung: Ich meine, dass man damals mehr die großen Fragen des Menschseins thematisiert hat, während es heute mehr um Gesellschaft und Ich geht.
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Sunbeam
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Do 6. Mär 2025, 17:54 An alle Literatur-Interessierten: Wie seht Ihr den Wandel der Literatur seit dem 18. Jh. bis heute?

Eine kleine Anregung: Ich meine, dass man damals mehr die großen Fragen des Menschseins thematisiert hat, während es heute mehr um Gesellschaft und Ich geht.
Hmmm, mehr als eine Zwei-Mann-Show wird es aber wohl nicht werden...

Und was den Wandel der Literatur angeht, gibt es da wirklich Neues, bisher Ungesagtes/Geschriebenes? Alles was heute noch zusammen geschmiert wird, ist das nicht das Wiederkäuen der Textstoffe, dein ein für allemal ihre Gültigkeit schon damals hatten und bis zum heutigen Tag bewahrt haben?

Ein Beispiel: Thomas Manns Zauberberg ist eines meiner "Kopfkissenbücher", und dann lässt sich das hier auch noch feiern und belobigen (und wird auch noch verlegt):



https://www.amazon.de/Zauberberg-2-Hein ... 277&sr=1-1

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Hiob
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Hiob »

Sunbeam hat geschrieben:Hmmm, mehr als eine Zwei-Mann-Show wird es aber wohl nicht werden...
Dann ist es halt ein kurzer Thread. Wer weiß.

"Zauberberg" ist wirklich gut. Noch besser ist "Joseph und seine Brüder", den ich mehrmals begonnen habe und immer nur bis Seite 150 rum gekommen bin. Von der Sprache her hat dieses Buch das Format einer Ilias. Thomas Mann ist ein echter Epigone, ein erratischer Block im 20. Jh. Kongenial finde ich noch Martin Buber mit seiner Tenach-Übersetzung - und in der Philosophie Heidegger. Aber ansonsten fällt mir tatsächlich nichts qualitativ Gleichwertiges im 20. Jh. ein - aber dies mag an mir liegen.
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Sunbeam
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Do 6. Mär 2025, 20:05
Sunbeam hat geschrieben:Hmmm, mehr als eine Zwei-Mann-Show wird es aber wohl nicht werden...
Dann ist es halt ein kurzer Thread. Wer weiß.

"Zauberberg" ist wirklich gut. Noch besser ist "Joseph und seine Brüder", den ich mehrmals begonnen habe und immer nur bis Seite 150 rum gekommen bin.
Gerade seinen Jospeh mag ich nicht, dieser Bildungsbürgerliche Snobismus ging mir absolut auf die ...., naja. Schaut wie schlau ich bin, was ich alles weiß, und nun bewundert mich...

Ich bewundere Thomas Mann als Meister der Deutschen Sprache, auch in seiner Sprachgewalt, aber ein Goethe ist er nicht, so sehr er sich auch danach sehnte, vom Deutschen Volk, also seinen Lesern, als legitimer Nachfolger Goethes gesehen zu werden (man lese Lotte in Weimar!). In der Emigration repräsentierte er das bessere Deutschland ("wo ich bin, ist die deutsche Kultur"). Obwohl das, was er repräsentierte doch schon längst verfault war, außerdem war er ein politischer Zauderer, als es politisch darauf ankam, war Thomas Mann orientierungslos: so 1914 und 1933, er misstraute der Demokratie, weil er dem Volk misstraute. Er begriff es unter der Kategorie der Masse, ja des Mobs. Denn:

Ich bekenne mich tief überzeugt, dass das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können, aus dem einfachen Grunde, weil es die Politik selbst nicht lieben kann,und das der viel verschriene "Obrigkeitsstaat" die dem deutschen Volke angemessene, auskömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt.
(Thomas Mann, Betrachtungen eines Unpolitischen, Vorrede, Seite 30)

Also - Die Betrachtungen eines Unpolitischen, ein Buch, das er wohl lieber nicht geschrieben und veröffentlicht hätte, denn in diesem Buch fiel so manche der vielen Masken, hinter denen er sich gern versteckte.

Nun denn, genug gemeckert, denn für seinen Setembrini gehört er für mich zu den "Unverzichtbaren", ebenso wie Gustav von Aschenbach, oder sein Felix Krull oder eben auch wie Adrian Leverkühn, mit dem er sich wohl seinen Frust über Deutschland und die Deutschen von der Seele schrieb.

Thomas Mann, einer von den Menschen, die niemals tiefer fallen können, als immer wieder nur in Gottes Hände...
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Hiob »

Sunbeam hat geschrieben: Do 6. Mär 2025, 20:59 Ich bewundere Thomas Mann als Meister der Deutschen Sprache, auch in seiner Sprachgewalt, aber ein Goethe ist er nicht
Da würde ich sagen, dass sie, selbst wenn man Goethe höher einschätzt, in einer Liga spielen, an die sonst (in der deutschen Literatur) keiner rankommt. Heute entscheidet man, ob man Goethe lesen darf, daran, ob er ein politisch korrektes Frauenbild hatte (selbstverständlich NICHT - wie alle seine Zeitgenossen).

Warum fällt mir folgendes gerade ein? Die Kabarettistin Lisa Kos (Deutsch-Russin) fragt nach dem Unterschied zwischen russischen und deutschen Männern und antwortet mit:
"Russisch Mann kann beschützen Frau, deutsche Mann kann trennen Müll".
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Sunbeam
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Sunbeam »

Hiob hat geschrieben: Do 6. Mär 2025, 21:18
Sunbeam hat geschrieben: Do 6. Mär 2025, 20:59 Ich bewundere Thomas Mann als Meister der Deutschen Sprache, auch in seiner Sprachgewalt, aber ein Goethe ist er nicht
Da würde ich sagen, dass sie, selbst wenn man Goethe höher einschätzt, in einer Liga spielen, an die sonst (in der deutschen Literatur) keiner rankommt. Heute entscheidet man, ob man Goethe lesen darf, daran, ob er ein politisch korrektes Frauenbild hatte (selbstverständlich NICHT - wie alle seine Zeitgenossen).

Warum fällt mir folgendes gerade ein? Die Kabarettistin Lisa Kos (Deutsch-Russin) fragt nach dem Unterschied zwischen russischen und deutschen Männern und antwortet mit:
"Russisch Mann kann beschützen Frau, deutsche Mann kann trennen Müll".
„Eine seltsamere Ware als Bücher gibt es wohl schwerlich in der Welt. Von Leuten gedruckt, die sie nicht verstehen; von Leuten verkauft, die sie nicht verstehen; gebunden, rezensiert und gelesen von Leuten, die sie nicht verstehen; und nun gar geschrieben von Leuten, die sie nicht verstehen.“
(Georg Christoph Lichtenberg 1742-1799)

Lichtenberg war ein Physiker, Naturforscher, Mathematiker, Schriftsteller und der erste deutsche Professor für Experimentalphysik im Zeitalter der Aufklärung. Lichtenberg gilt als Begründer des deutschsprachigen Aphorismus und dazu eine kleine Geschichte:

Immer wenn auf irgendwelchen Ämtern oder bei Arztterminen lange Wartezeiten zu erwarten habe, dann habe ich einen Band der Lichtenberg'schen Aphorismen bei mir, und das seit Jahr und Tag, nicht auszulesen, der Mann.

Was ich eigentlich sagen wollte, es muss nicht immer Goethe oder Thomas Mann sein, Kleists Erzählungen mag ich oft lieber, und den Heinrich Heine, der heute noch viel moderner ist, als viele der so genannten Modernen, dessen Gedichte hole ich immer wieder einmal hervor, einen Heiligen Kanon habe ich nicht, will ich auch nicht, obwohl der Faust zur weltlichen Bibel durchaus taugt und Tolstois Krieg und Frieden ein Kaleidoskop der Menschheit zu nennen wäre, auch in seinen moralischen Botschaften. Und Gabriel José García Márquez - 100 Jahre Einsamkeit uns einmal einen so ganz anderen und sehr subtilen Schöpfungsmythos vor Augen führen.

Aber einerlei ob Krimi, Science-Fiction, Phantasie, Abenteuerromane oder was da auch immer, jeder Mensch sollte immer nur das lesen, was ihm gefällt, woran er Freude hat, was ihn auf nächste Stufen bringen wird, denn ich glaube manchmal, das wir nicht die Bücher lesen, sondern die Bücher oft uns...

Aber nun genug, der Frühling ist da, mehr oder weniger, und es wird Zeit für den Garten und ausgedehntere Strandspaziergänge, und der Wald ruft sowieso, außerdem muss ich meinen kleinen Enkel endlich dazu bringen, einen Basketball im Korb zu versenken...

In diesem Sinne, bis später einmal...

Ach so, zum Abschied dann noch ein wenig Lichtenberg'sche Kost:

„Die meisten Glaubens-Lehrer verteidigen ihre Sätze, nicht weil sie von der Wahrheit derselben überzeugt sind, sondern weil sie die Wahrheit derselben einmal behauptet haben.“

„Ja die Nonnen haben nicht allein ein strenges Gelübde der Keuschheit getan, sondern haben auch noch starke Gitter vor ihren Fenstern.“

"Wahrhaftes unaffektiertes Mißtrauen gegen menschliche Kräfte in allen Stücken ist das sicherste Zeichen von Geistesstärke."

"Ich habe immer gefunden, die sogenannten schlechten Leute gewinnen, wenn man sie genauer kennenlernt, und die guten verlieren."
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Spice »

Hiob hat geschrieben: Do 6. Mär 2025, 20:05
Sunbeam hat geschrieben:Hmmm, mehr als eine Zwei-Mann-Show wird es aber wohl nicht werden...
Dann ist es halt ein kurzer Thread. Wer weiß.
"Zauberberg" ist wirklich gut.
Fand ich auch gut!
Noch besser ist "Joseph und seine Brüder", den ich mehrmals begonnen habe und immer nur bis Seite 150 rum gekommen bin.
Ich hatte alle drei Bände hintereinander gelesen. Toll!
Thomas Mann und Hermann Hesse waren meine Lieblingsschriftsteller. Von ihnen habe ich "alles" verschlungen.
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Spice »

Sunbeam hat geschrieben: Do 6. Mär 2025, 20:59 Felix Krull
Ach ja, der Felix Krull. Besonders amüsant die Szene bei der Musterung!
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Lena
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Lena »

Schwierig für die später gekommenen, da das wirklich wichtige und wertvolle, schon geschrieben worden ist.
A chli Patschifig
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Re: Unterschiede in der Literatur zwischen 18./19. und 20./21. Jh

Beitrag von Hiob »

Lena hat geschrieben: Fr 7. Mär 2025, 16:38 Schwierig für die später gekommenen, da das wirklich wichtige und wertvolle, schon geschrieben worden ist.
Um noch mal auf den Thread-Titel zu kommen:
Der Unterschied zwischen der klassischen Zeit der Aufklärung zu heute ist, dass man damals von einem Primat des Geistes ausging, zu Ende gedacht also von der Existenz Gottes ausging, während man in der Gegenwart eher das Ich zum Dreh- und Angelpunkt des Seins macht. Man ist geistig sozusagen geozentrisch. All die Galileis des Geistes scheinen vergessen zu sein.
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