Hiob hat geschrieben: ↑Mo 20. Mai 2019, 21:45Absolut einverstanden - so war früher der allgemeine Usus (und ist es heute Uni-intern wahrscheinlich immer noch).
Nochmals: absolut einverstanden. ----- Sacken lassen ---- und dann kommt doch noch was: NIEMAND kann das Verständnis des Verfassers ohne den Filter der eigenen, zeittytpischen Hermeneutik ermitteln - "Verständnis des Verfassers" ist IMMER kontaminiert - es geht nicht anders. - Aber das ist ein anderes Thema.
Das ist doch kein anderes Thema. Ich frage mich nur, warum du so oft das Wort "kontaminieren" (= verschmutzen, verunreinigen, verseuchen - © Dudenverlag) benutzt, wenn es um die HKM geht. Wenn es um eine andere, dir genehme Exegese geht, nennst du sie nicht eine vom Verfasser kontaminierte, sondern geistig inspirierte Interpretation. Darin äußert sich meiner Meinung nach die "unfreundliche Rhetorik" deiner verzerrenden Außenansicht auf die HKM.
Sind es nicht gerade die kirchlich geprägten Exegesen, die in ihren Interpretationen "die biblische Wahrheit, Gottes Wort" verkündigen - ganz im Gegensatz zu historisch-kritischen Exegesen, die bescheiden und explizit darauf hinweisen, dass ihre Ergebnisse nicht der Wahrheit letzter Schluss sind?
Wieso muss eine historisch-kritische Exegese kritisch hinterfragt werden, und wieso wird das Hinterfragen einer anderen Exegese gleich als Bibelkritik gewertet? Rechtfertigt der eigene Glaube solch ein zweierlei Maß?
Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, Seite 1 hat geschrieben:
Ziel der Exegese ist das Verstehen des Textes. Dem vorausgehen muss jedoch die Frage, welchen Bedingungen Verstehen grundsätzlich unterworfen ist. Die allgemeine Lehre vom Verstehen heißt Hermeneutik. Die Hermeneutik als Methode ist notwendig, weil Text und Leser einander niemals unmittelbar begegnen, sondern immer durch einen zeitlich oder sachlich bedingten Abstand von einander getrennt sind.
Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch zum Neuen Testament, Seite 2 hat geschrieben:
Eine weitere Voraussetzung sachgemäßer Exegese bezieht sich auf die Position des Exegeten selber: Er muss sich fragen (oder fragen lassen), mit welchen Voraussetzungen er an den Text herangeht. Aus welcher Tradition kommt er, auf welche Fragen erwartet er vom Text eine Antwort, warum befaßt er sich überhaupt mit diesem Text? Es wäre falsch, wollte man die Begegnung zwischen dem Exegeten und dem Text gleichsam in einen "neutralen" Raum verlegen, als gäbe es hier einen (womöglich) geschichtslosen, jedenfalls zeitlos gültigen Text und dort einen Exegeten, der frei von allen Voraussetzungen "objektiv" an den Text herangeht. Voraussetzungslose Exegese gibt es nicht, jede Interpretation ist durch den jeweiligen geschichtlichen Standort des Exegeten zumindest mitbestimmt, und deshalb muß sich der Exeget zunächst auch Klarheit über die von ihm mitgebrachten eigenen Voraussetzungen verschaffen.
Es wird deutlich sein, daß dies nicht im Sinne psychologischer Tiefenschau gemeint ist. Es geht vielmehr darum, den eigenen Standort zu bestimmen, damit es nicht zu einer unsachgemäßen Identifikation zwischen der Aussage des Textes und der vorgegebenen Erwartung des Exegeten kommt; vgl. dazu R. Bultmann, Glauben und Verstehen III, 142-150.
Theißen, Gerd; Merz, Annette: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Vandenhoek & Ruprecht, Göttingen 1996. S. 6f hat geschrieben:
Am Ende jedes Hauptteils steht eine skizzenhafte Zusammenfassung, die sich von der (künstlichen) Einteilung in Punkte und Unterpunkte löst. Hier soll angedeutet werden, wie wissenschaftliche Ergebnisse in eine Bildungssprache für Schule, Kirche und Gesellschaft übersetzt werden könnten. Es folgen Anregungen zur hermeneutischen Reflexion. Einerseits sollen sie die sachliche Darstellung entlasten, denn zur historischen Arbeit gehört nicht unmittelbar die Frage, wie wir mit ihren Ergebnissen heute umgehen können. Andererseits sind sie Teil des didaktischen Konzepts: Wissen wird nur lebendiges Wissen, wenn wir uns mit ihm persönlich auseinandersetzen und es mit unserem Denken und Erleben vermitteln.
...
Auch ein Lehrbuch, das Jesusforschung vermitteln will und nicht die Lieblingsideen der beiden Verfasser, ist von einem bestimmten Jesusbild geprägt. Es ist ein kontextuelles Jesusbild. Jesus wird verstanden im Kontext des Judentums und der lokalen, sozialen und politischen Geschichte seiner Zeit. Auch hinter diesem Buch stehen „Vorverständnisse" und „Interessen". So sind wir davon überzeugt, daß man über den historischen Jesus einen von Sympathie bestimmten Zugang zum Judentum finden kann, daß die Auseinandersetzung mit seiner Botschaft das soziale Gewissen schärft und die Begegnung mit ihm die Frage nach Gott verändert.
Katholische Fakultät der LMU hat geschrieben:
Die Bibel ist als Glaubensschrift der Christen nicht an ein bestimmtes Interpretationsschema gebunden. Jeder kann und darf die Bibel lesen – auch ohne spezielles Fachwissen. Wenn es darum geht, was ein biblischer Text
mir sagt, muss die Lektüre nicht methodisch abgesichert werden. Soll aber erhoben werden, was er
anderen sagen könnte, wird die Freiheit im Umgang mit dem Text eingeschränkt. Methodische Herangehensweisen sichern die Aufgabe der Exegese, Anwältin des Textes zu sein. Auch wenn es nicht die eine richtige Interpretation gibt, so doch Grenzen der Interpretation.
Hier wird überall gefordert intersubjektiv nachprüf- und nachvollziehbar offen zulegen, von welcher Position des Exegeten aus und mit welcher Methodik an einen Text herangegangen wird, um so neutral wie irgend möglich dem Text und seinem Verfasser zu begegnen, damit er sein Wort sagen kann. Es ist ein Hilfsangebot, um durch das selbständige Abwägen der vorgestellten Optionen zu einem besseren Verständnis zu kommen. Es steht jedem Leser frei - und ist sogar erwünscht - sich kritisch im Diskurs dazu zu äußern.
Eine solch selbstkritische Haltung den eigenen Interpretationen gegenüber vermisse ich anderenorts, wo jegliche ebenso eigene Interpretation eines Exegeten durch die Inspiration des Heiligen Geistes, und/oder durch die Autorität "der Kirche" quasi als das unmittelbar wahre Wort Gottes legitimiert wird. Den Lesern wird nicht zu einem besseren Verständnis verholfen, sondern vorgeschrieben, wie sie einen Text zu verstehen haben. Ein kritisches Hinterfragen wird weder erwartet noch ist es erwünscht, sondern wird vorschnell und pauschal als Bibelkritik abgestempelt - obwohl ja nicht die Bibel kritisiert wird, sondern lediglich die Interpretation eines Bibeltextes durch einen Menschen.