Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Den viel wesentlicheren Punkt, nämlich dass ein Angriff auf Ostdeutschland den Bündnisfall auslöst, unterschlägst Du.
Das ist eh klar. Natürlich ist vorgesorgt, dass Russland nicht Ostdeutschland angreift, weil sie keine NATO-Präsenz haben dürf(t)en. Natürlich würde bei einem Angriff Russlands auf Ostdeutschland der Bündnisfall ausgerufen werden - da hätte keiner der Russen im Jahr 1990 protestiert.
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Das ist aber nicht der Fall - stattdessen ging es nur darum, dass ausländische Truppen (das Wort NATO kam nie vor) nicht in Ostdeutschland stationiert sein dürfen.
Doch - siehe die zitierte Genscher-Aussage und die mündliche Zusage von Baker.
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Bei Fiducia Supplicans z. B. geht es mir auch darum, wie es die Betroffenen, also die Masse gewöhnlicher Katholiken interpretiert. Nicht was es spitzfindig formal-theologisch bedeutet.
Das ist der Unterschied zwischen erlebens-real und verbindlich. Ersteres ist (aufs Katholische bezogen) pastoral, das andere fundamental. Letzteres ist formal und somit im Streitfall gültig. Insofern zieht hier Putin tatsächlich formal den Kürzeren, weil damals Bush die Sache von Baker nicht abgesegnet hat. Warum? Weil es Leute in den USA gab, die eine paneuorpäische Annäherung nicht wollten, sondern den eigenen Machtbereich ausweiten wollten. Oder würdest Du da widersprechen?
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Die "Laien-Interpretation" ist von diesem Gesichtspunkt die entscheidende, weil man vom gewöhnlichen Katholiken eben keine tiefen theologischen Kenntnisse erwarten kann.
Eben nicht, wie man sieht. Der Papst kann jederzeit seine pastoralen Freiheiten zurückfahren, und der Westen kann jederzeit sagen: "Putin, zeig uns mal, wo Du völkerrechtlich recht hast. Da waren wir raffinierter als Deine Leute in den 90ern".
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Die "Laien-Interpretation" ist von diesem Gesichtspunkt die entscheidende
Das meint Putin ebenfalls. Ich habe mit westfreundlichen und putin-unfreundlichen Russen in meinem familiären Umfeld gesprochen. Sie sagen sinngemäß: "Wir (als Westfreunde) haben wirklich keine Angst von der NATO - aber müsst Ihr unbedingt jetzt auch noch die Ukraine rausbrechen und zudem mit deren NATO-Mitgliedschaft drohen? Das macht unsere Landsleute (egal ob Putin-Freunde oder -Feinde) nervös". Auch das Wort "Erniedrigung" und "Kränkung" ist gefallen.
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Jeder potentielle Fallstrick wurde nach oben weitergegeben, da kannst Du Dir sicher sein.
Bestimmt - so wie es Baker gemacht hat. Aber wenn "oben" nicht reagiert und es trotzdem weitergehen soll, kann man auf Zeit spielen - und irgendwann ist es vergessen, bis es die Geschichte wieder hervorholt.
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Nun werden im 2+4 Vertrag andere Ostblock-Staaten außer Ostdeutschland nicht einmal genannt. Die NATO wird nicht genannt.
Da ging es verstrags-technisch nur um die Wiedervereinigung. Dazu gab es aber Bedingungen, die verschliffen wurden. Man sollte hier nicht vergessen, dass Jelzin tot und dämlich geschmiert wurde - er wird zitiert, man möge dieses Thema erst nach der Wahl (irgendwann in den 90er Jahren) ansprechen, weil er sonst vor seinem Volk als Verräter dastünde. Man hat es verstanden, die Bestechlichkeit zu nutzen. Nebenbei: Als zu meiner Zeit die Ring-Autobahn um Moskau gebaut wurde, hat dies nach Aussagen von Insidern 70 Millarden Euro an Schmier- und Schutzgeldern gekostet.
Da kann man natürlich sagen "Selber schuld", aber damit wird nicht folgender Satz ausgehebelt:
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Die "Laien-Interpretation" ist von diesem Gesichtspunkt die entscheidende
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Das ist natürlich irrational. Es muss genau andersherum sein.
Weder noch. Mir geht es um Entkopplung von formaler und wirklicher Wirklichkeit und die Folgen daraus. Wer dann "recht hat", ist mir sowas von egal, weil jeder recht hat, wenn er seine jeweiligen eigenen Maßstäbe ansetzt.
* "Ich weiß, dass wir als Westen formal nicht falsifiziert werden können - ätsch"
* "Ich weiß, dass wir als Osten schamlos verarscht wurden - na warte".
* "Ich weiß, dass homosexuelle Partnerschaften fundamental niemals einen Segen bekommen können"
* "Ich weiß, dass ich letzte Woche in meiner homosexuellen Eheschließung gesegnet wurde"
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Und er hat an anderer Stelle das Gegenteil gesagt.
Und jetzt? Bei welcher Version lügt er? Man könnte jetzt durchspielen, welche Motive oder Bedrohung es geben könnte, das eine oder das andere zu sagen. - Oder wird er mit diesem oder jenem zitiert, ohne es jemals gesagt zu haben? Ich weiß es nicht. Aber es ändert nichts an der Wirkung dessen, was nach 1990 schief gelaufen ist. Ich finde es lächerlich, wenn der Westen so tut, als hätte er keinen Anteil an der Entstehung des Ukrainekriegs und dies mit irgendwelchen juristisch nicht anfechtbaren Schlaumeiereien tut. Das darf ein Politiker, aber es dürfte kein Journalist (wobei wir wieder beim Thread-Thema wären).
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Hunderte Milliarden € an Finanzhilfen wurden damals an die Sowjetunion und andere Ostblockländer gezahlt, damit der Vertrag zustande kommt. Auch ein "Detail" was Du unterschlägst.
Da wären wir beim Thema "Bestechlichkeit". Russen sind gerne gesellig und dabei ganz und gar nicht link - aber sie können auch gefährlich werden. Nach meinen Geschäftserfahrungen, die ich mit Russland machen durfte, halte ich folgende Version für typisch russisch:
"Ok - die wollen sich nicht festlegen mit der NATO, bieten aber viel Kohle. Nehmen wir erstmal die Kohle, und wenn es uns zu bunt wird, hauen wir mit der flachen hand drauf". - Russland war in den letzten Jahrzehnten ein äußerst verlässlicher und großzügiger Partner. Man muss immer ein bischen aufpassen, dass man nicht über den Tisch gezogen wird (wir haben immer Vorkasse gemacht, und das wurde akzeptiert). Aber bei den Russen zählen gemeinsame Interessen sehr viel - da nimmt man es nicht immer so genau mit Verträgen. Läuft doch auch so, wenn das gegenteilige Vertrauen stimmt. Da prallen zwei Welten gegeneinander: Hier das ziselierte Rechtssystem, im ärgsten Fall nach Römischem Recht - dort der Blick in die Augen und der Handschlag. Ganz so ist es in Reinkultur nicht, aber von der Mentalität ist da schon was dran.
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Aber das ist was anderes als Wortbruch und Betrug.
Formal richtig, aus Sicht der Betroffenen falsch. Ich erinnere:
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Die "Laien-Interpretation" ist von diesem Gesichtspunkt die entscheidende
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
naive Menschen und Halbwissende fallen auf Legenden von Diktatoren leicht herein.
Auch das gibt es. Genauso gibt es Profis (bei uns), die sich mit dem Schlagwort "Legenden von Diktatoren" Raum schaffen, um raffiniert zu hintergehen. Man baut Narrative auf, um sich im Fall der Fälle zu wappnen - das nennt man "PR".
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Diese Legendenbildung funktioniert nur, wenn man alle anderen Aussagen aus der Zeit damals hartnäckig ignoriert. Du gehst extrem oberflächlich und einseitig an die Sache heran. Mit seriöser historischer Analyse hat das nichts zu tun.
Das ist wieder mal so ein Spruch, der, würde er öffentlich gesagt, noch ein paar Wähler mehr zur AfD treiben würde. "Wir sind juristisch nicht kippbar, also ist alles andere, man sagt dann manchmal, 'Verschwörungstheorie'" und die oft dummen Medien ziehen mit, statt auf breiter Ebene fair abzuwägen. Kein Wunder, dass die Trumps der Welt wie Pilze aus dem Boden schießen.
Claymore hat geschrieben: ↑Fr 29. Dez 2023, 22:32
Es gab also eine explizite Erlaubnis der Sowjetunion für die Ostblock-Staaten sich selbst ihre Bündnispartner zu suchen ... mag es auch die NATO sein.
Dafür bin ich ebenso. Aber wenn ich meine Nachbarin mit der Begründung haben will, dass ich freie Wahl habe, werde ich vermutlich nachbarseits eine Abfuhr bekommen. Mit anderen Worten: Die NATO hätte eine Policy gebraucht, dernach eine Aufnahme der Ukraine nicht möglich sei, weil sie ein Pufferstaat sein solle. Man hätte auch ohne NATO-Mitgliedschaft eine Garantie aussprechen können. Dafür muss man keine Präsenz oder formale Einbettung haben.
Hier möchte ich tatsächlich Gerhard Schröder recht geben, wenn er meint, dass es versäumt wurde, eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur zu erstellen. Kann es sein, dass es gar nicht gewollt war?
Man kann Historiker aus dem Westen und dem Osten gegeneinander antreten lassen, die beidseits die Richtigkeit ihrer Version "nachweisen" können, wie man sagt. Wobei wir wieder bei unserem alten Thema "Hermeneutik" wären.